22.12.2021

IHD: Der Fußboden soll grüner werden

Im vergangenen Jahr gab es weltweit zwei Hauptthemen: die Pandemie und den Klimawandel. Während das Corona-Virus kaum hemmenden Einfluss auf den Geschäftserfolg aller am Fußboden beteiligten Hersteller gehabt hat, können die Bedrohungen des Klimawandels den Produktentwicklern durchaus Schweißperlen auf die Stirn treiben. Das Thema macht der Öffentlichkeit Angst, der politische Druck steigt und in der Konsequenz dürfte es nach und nach allen umweltschädlichen Produkten an den Kragen gehen. Da wäre es besser, rechtzeitig zu reagieren und als Vorreiter auf einer grünen Welle zu surfen.

„Die zukünftige Bedeutung dieses Themas ist aber der Führungsebene der Industrie teilweise noch nicht bewusst“, warnte IHD-Geschäftsführer Dr.-Ing. Rico Emmler und berichtete, dass in europäischen Normen-Beratungen bodenbelagsübergreifend die Zirkularität von Bodenbelägen im Rahmen von CENnTC 134 WG 10 diskutiert wird. „Diese Diskussion wurde maßgeblich politisch initiiert durch den Green-Deal der EU und stellt eine neue Herausforderung in der Normung dar. Begriffe wie „Design for Circularity“, „Recycling Content“, „Extended Producer Responsibility“ und „Product Passport“ sind in den Normungsgremien angekommen.“

Dabei geht es vor allem darum, die derzeitige lineare Wertschöpfungskette in ein Kreislaufsystem umzubauen. Das ist nicht neu, blieb bisher normativ aber unbegleitet. Emmler: „Zunächst wurde begonnen, eine fußbodenspezifische Definitionsnorm bezüglich der Zirkularität zu entwerfen. Dabei werden wichtige Begriffe wie zum Beispiel der „Gehalt an recyceltem Material“ definiert. Das Hauptziel ist die Vermeidung von Abfall in der Produktion und die Entwicklung eines Produktes, das zirkular genutzt werden kann.“

Darüber hinaus müssen Hersteller und Händler damit rechnen, im Rahmen der EPR (Extendend Producer Responsibility) bis zum Lebensende eines Produktes für dessen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt verantwortlich gemacht und verpflichtet zu werden, wichtige Produktinformationen offenzulegen, wie Rezepturbestandteile und den Gehalt an gefährlichen Stoffen. Emmler: „Dafür ist der Produktpass als Werkzeug vorgesehen. In der Normung soll sein Inhalt definiert werden, nicht aber die technische Umsetzung auf dem Fußboden, etwa mittels Barcode oder RFID-Chip.“

Werden alle Länder der EU tatsächlich an einem Strang ziehen? Rico Emmler ist skeptisch: „An diesen Themen arbeiten Ausschüsse verschiedenster Produktkategorien. Auch wenn ein normatives Koordinierungskomitee (SABE) auf CE-Ebene eingerichtet wurde, besteht die Gefahr, dass eine Vielzahl von unterschiedlichen, sich teilweise widersprechenden Dokumenten für verschiedene Produktkategorien erscheint.“

Verantwortung der Industrie endet nicht am Werkstor

Unabhängig davon dürfte es für jeden Bodenbelagshersteller schon auf nationaler Ebene von Bedeutung sein, auf ökologische Anforderungen zu reagieren, wenn er in zehn oder zwanzig Jahren noch seine Produkte verkaufen will. 2020 wurde auf dem Dresdner Fußbodenkolloquium das Recycling-Potenzial von Polymer-Materialien aus textilen Bodenbelägen vorgestellt und Volker Kettler, Leiter Produktmanagement und Produktentwicklung der Meisterwerke Schulte beurteilte aus verschiedenen Materiallagen zusammengesetzte Bodenbeläge kritisch. Daran schloss er nun ein Jahr später an „Fußböden, die morgen entwickelt und produziert werden, müssen nachhaltig und kreislauffähig sein. Die Verwendung von Recyclingmaterialien wird unverzichtbar werden. Unsere Verantwortung endet nicht, wenn das Produkt das Werkstor verlässt.“

Schadstoff-Grenzwerte werden strenger, der Einsatz „grüner“ Energie wird gefordert, die CO2-Bilanz eines Unternehmens wird zum Aushängeschild. Noch ist den Produktentwicklern nicht bei allen Bodenbelagsarten klar, was sich zirkular - also wiederverwendbar – verhält. Kettler: „Produkte müssen so gekennzeichnet sein, dass man später noch genau weiß, was drin ist. Das Sammeln und Sortieren alter Bodenbeläge sollte derart gesteuert werden, dass nicht alles auf einem großen Mischhaufen landet.“

Sortenreine Produkte mit Recycling-Vorteilen

Die Analyse, die Entsorgung, neue Aufbereitungsverfahren – all das wird Geld kosten. Mehr noch, „die ein oder andere Bodenbelagsgattung wird Schwierigkeiten bekommen“, prognostiziert Kettler und denkt dabei an Multilayer-Konstruktionen, deren verbundene Materialien sich später schwer separieren lassen. Dagegen könnten sortenreine Produkte, wie homogene Rigid-Böden aus PVC ihren Recycling-Vorteil ausspielen. Sie sind materialeinheitlich, lassen im Herstellungsprozess kaum Reststoffe übrig, haben Weichmacher nur in der Nutzschicht, werden ohne Klebstoff verlegt und selbst eine Kaschierung mit XPS-Schaum ist unschädlich für spätere Wiederverwendung. „Das ist ein Produkt, das auf das Kreislaufprinzip passt“, findet Kettler.

Und er hat noch mehr Beispiele. Lindura etwa, ein Holzwerkstoffprodukt mit Furnierdeckschicht, das gegenüber Eiche-Parkett achtmal weniger Holz verbraucht, mit wärmehärtenden Bindemitteln gepresst wird und naturgeölt oder mit Lacken auf Basis nachwachsender Rohstoffe beschichtet werden kann. Oder Laminatböden: „Die sind heutzutage frei von PVC und Kunststoff, auf Holzträger mit Harz-Bindemitteln, haben nur ein wenig natürliches Formaldehyd in der Platte und können wieder als Rohstoff für Faserplatten verwendet werden.“

In diesem Zusammenhang der Hinweis, dass drei aktuelle Laminatbodennormen zu einer neuen Norm (EN 13329) zusammengefasst werden sollen. Als Laminatböden dürfen dann nur noch Böden mit mindestens 65 % Holzmasseanteil bezeichnet werden.

Probleme bekommen laut Kettler in Zukunft Produkte mit unbekannten Inhaltsstoffen, ungünstigen Aufbauen und Kombinationen von PVC mit Holzwerkstoffen oder Kork. Multilayer-Konstruktionen sind da besonders gefährdet. Und das, obwohl demnächst als prEN 16511:2021 eine überarbeitete Anforderungsnorm erscheinen wird. Die hat aber mit Umwelt nichts am Hut, sondern bezieht sich auf technische Begriffe und Definitionen, wie etwa, dass Dekorschichten aus
elastischen Schichten einschließlich Kork, Schichten mit aminoplastischen, duroplastischen
Harzen und Holzfurnierschichten mit einer Dicke < 2,5 mm (beide auf Polymerkern) bestehen können. Eben solch ein Schichtaufbau macht eine spätere Trennung und Wiederverwendung fast unmöglich.

Europaweites CISUFLO -Projekt

Trendsetter im Bodenbelagsrecycling ist Belgien. Dort hat Unilin eine Technologie entwickelt, mit der MDF- und HDF-Platten recycelt und für neue, hochwertige Faserplatten wiederverwendet werden können. 380.000 t CO2 sollen damit jährlich gespeichert werden können. Mit 18 weiteren Partnern aus sieben Ländern ist Unilin zudem am CISUFLO-Projekt (Circular Sustainable Floorings) beteiligt, das sich mit der Kreislaufwirtschaft in verschiedenen Segmenten beschäftigt. Dazu wurden sechs Pilotprojekte gestartet, die sich unter anderem mit kreislauffähigen Laminatböden, Teppichböden, Vinylbelägen, der Auftrennung mehrschichtiger Konstruktionen und einem automatischen Sortiersystem befassen. Außerdem soll eine Online-Plattform namens eProdis eingerichtet werden, auf der Hersteller jene Produktinformationen ablegen, die von Wiederverwertern gebraucht und nebenbei auch von Verbrauchern abgerufen werden können.

Die übergeordneten Ziele sind hoch gesteckt und wollen einige der sogenannten „Sustainable Development Goals“ (SDG) umsetzen. Das betrifft SDG12 “Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen“, SDG11 „Nachhaltige Städte und Gemeinden schaffen”, indem Fußbodenabfall reduziert wird, SDG9 „Industrie, Innovation und Infrastruktur” sowie SDG 13 „Maßnahmen zum Klimaschutz“.

Geleitet wird CISUFLO von Centexbel, einem belgischen Forschungsinstitut für die Textilindustrie. Zusätzlich geben 32 freiwillige Teilnehmer Feedback zu den Untersuchungsergebnissen. Das am 1. Juni 2021 gestartete Projekt ist mit einem Budget von knapp 8 Mio. EUR. auf 48 Monate begrenzt.

Verlegeunterlagen machen beim Green Deal mit

Gert Bauerfeind, Anwendungstechniker und Leiter des Prüflabors von Selit, zitierte aus dem „Circular Economy Action Plan“, der verbindliche Anforderungen an den Gehalt an recyceltem Kunststoff und Maßnahmen zur Verringerung von Kunststoffabfällen sowie die Schaffung eines neuen Rechtsrahmens für biologisch abbaubare und biobasierte Kunststoffe fordert.

Hier sieht er Unterlagen gut positioniert. „Die mehrheitlich im Markt befindlichen
Verlegeunterlagen z. B. aus Polystyrolen oder unvernetzten Polyethylene, können bereits jetzt in allen Recyclingarten wiederverwertet werden.“

Das gilt zunächst für schwimmend zu verlegende Produkte. „Schwieriger wird es bei werksseitig aufkaschierten Verlegeunterlagen und solchen, die auch als Feuchteschutz wirken und aus unterschiedlichen Materialien aufgebaut sind.“

Bisher haben Hersteller versucht, möglichst viele Eigenschaften in einem Produkt zu vereinen. „Akzeptiert es der Markt“, fragt sich Bauerfeind, „wenn künftige Produkte einfacher beschaffen sind?“ Seine Prognose ist, dass der Weg durchaus zu einfachem Materialdesign und Monoverbünden aus einer Materialbasis geht. Bisher gebe es zwar kein „ideales“ Material am Markt, aber vielleicht würde bald Neues entwickelt, das vollständig in den Kreislauf wandern könne, wie das Beispiel von PET-Flaschen zeige.

Vier Recycling-Arten sind bei Kunststoff technisch machbar:
chemische Depolymerisation eines Produktes,
• werkstoffliche Aufbereitung zu einem Granulat für den wiederholten, gleichen Prozess,
• mechanisches Schreddern und Mahlen, um ein Füllgut zu erhalten,
• und als unterste Stufe das Verbrennen zur Gewinnung von Abwärme.

„Ideen müssen entwickelt werden, wie auch nach einer Nutzungsdauer von mehreren Jahrzehnten noch sichergestellt werden kann, dass der Wiederverwerter zu diesem Zeitpunkt den idealen Umgang mit dem Produkt bestimmen kann“, sagt Bauernfeind. „Je weniger komplex ein Produkt hinsichtlich der Materialien ist, desto einfacher und wertiger kann es in den Kreislauf zurückgeführt werden.“
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Foto/Grafik: Heinelt
Rico Emmler: „„Die künftige Bedeutung der Kreislaufwirtschaft ist der Führungsebene der Bodenbelagsindustrie teilweise noch nicht bewusst.“
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Foto/Grafik: Heinelt
Volker Kettler: „Umbrüche stehen bevor. Produktargumente werden morgen andere sein als heute. Die derzeitige Rohstoffverknappung wirkt in vielen Teilbereichen wie ein Turbo für Veränderungen.“
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Foto/Grafik: Heinelt
Gert Bauerfeind: „Es muss über die Grenzen „Fußbodenbelag“ und „Verlegeunterlage“ hinaus und im „Bodensystem“ gedacht werden. Dazu werden sich möglicherweise die Materialien in diesen Produktgattungen annähern.“
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